Wolfgang Däubler spricht das spannende und bislang wenig erörterte Thema der „Compliance für den Betriebsrat“ an. Es geht ihm um die Frage, inwieweit Mitglieder des Betriebsrats (als solche und als Arbeitnehmer) speziellen und besonders strengen Compliance-Vorschriften unterworfen werden dürfen. Däubler hebt besonders das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG hervor, wobei freilich umgekehrt auch die besonderen Aufgaben und Pflichten von Betriebsratsmitgliedern zu beachten sind.
Zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Haftung des Betriebsrats nach dem Urteil des BGH vom 25.10.2012. Martin Franzen verfolgt einen anderen Ansatz als der BGH: Rechtsfähig sei der Betriebsrat nur im Rahmen des BetrVG, dh gegenüber dem Arbeitgeber und ggf. einzelnen Arbeitnehmern, nicht aber im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. Handeln Mitglieder des Betriebsrats Dritten gegenüber, so verpflichten sie sich selbst und können im Rahmen von § 40 I BetrVG vom Arbeitgeber Freistellung verlangen. Über diesen Rahmen hinaus haften sie selbst, und zwar ohne dass nach dieser Konzeption § 179 BGB (mit seinen Einschränkungen nach Abs. 2 und 3 der Vorschrift) zu bemühen wäre. Die Eigenhaftung kann rechtsgeschäftlich beschränkt werden und wird bei fachkundigen Beratern schon gesetzlich durch deren vorvertragliche Aufklärungspflichten begrenzt. Wolf-Dietrich Walker folgt der Konzeption des BGH, der er grundsätzlich zustimmt, und legt besonderes Augenmerk auf mögliche Haftungsbegrenzungen. Der Kritik an der Rechtsprechung, die im Hinblick auf Haftungsrisiken geäußert wurde, widerspricht Walker unter Hinweis auf den großzügigen Beurteilungsspielraum des Betriebsrats, die Möglichkeit vertraglicher Haftungsbeschränkung sowie die Schranken von § 179 II und III BGB.
Im Anschluss an die Emmely-Entscheidung und nachfolgende Rechtsprechung des BAG untersucht Michael Kort den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte wegen bloßen Zeitablaufs. Das BAG hat einen Entfernungsanspruch nicht völlig ausgeschlossen, aber an strengere Voraussetzungen geknüpft. Kort erörtert die Grundlagen und Funktionen von Abmahnung und Personalakte und die möglichen Interessen des Arbeitgebers, eine Abmahnung andauernd zu dokumentieren, aber auch des ausgeschiedenen Arbeitnehmers, sie entfernt zu wissen. Er weist schließlich mit Recht darauf hin, dass sich die Frage eines Entfernungsanspruchs heute weitgehend nach dem BDSG beantwortet (s. Riesenhuber, NZA 2012, 771 ff.). Auch Kort tendiert dazu, für die Folgeansprüche der §§ 33 ff. BDSG den erweiterten Anwendungsbereich von § 32 II BDSG für maßgeblich zu halten (näher Riesenhuber, NZA 2014, 753 ff.).
Peter-Christian Müller-Graff skizziert in einem großen Panorama die Einwirkung des Unionsrechts auf das (deutsche) Schuld- und Arbeitsrecht. Nach einem Blick auf die primärrechtlichen Vorgaben der Grundfreiheiten, Grundrechte und der Kompetenznormen erörtert er den Bestand der Rechtsangleichung und schließlich die daran anschließende Auslegung und Fortbildung des europäischen und des nationalen Rechts. Dabei lässt Müller-Graff Kritik gegenüber der Methode des BGH anerkennen, wenn dieser dem generellen Umsetzungswillen des deutschen Gesetzgebers Vorrang auch vor einem deutlichen Wortlaut der Umsetzungsregeln gewährt. Seine Perspektiven für die künftige Entwicklung des Unionsrechts sind, dass einerseits nicht mit einem Rückbau des Regelungsbestandes zu rechnen ist, sich aber andererseits (an den Beispielen der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83, des SPE-Vorschlags sowie des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht) auch abzeichnet, dass die Mitgliedstaaten einer weitergehenden Rechtsangleichung kritisch gegenüberstehen.
Hermann Reichold erörtert die Rechtsprechung zur Stellung von Leiharbeitnehmern im Betriebsverfassungsrecht. Grundlage für seine Untersuchung sind die „Grundsatztheorien“ der Betriebsverfassung. Reichold weist (mit Kolbe) auf die Defizite von „Betriebsdemokratie“ als Erklärungsmodell hin und hebt demgegenüber die Vertragspartnerschaft hervor. Randbelegschaften erforderten aber weitere Differenzierungen. Reichold spricht sich, was den organisatorischen Teil der Betriebsverfassung angeht, für den Grundsatz aus, „Wählen heißt auch Zählen“, dem auch die neuere Rechtsprechung folgt. Eine „Einbürgerung“ von Leiharbeitnehmern sei in dem (bei Konstruktion der Leiharbeit über § 328 BGB folgerichtigen) originären Weisungsrecht des Entleihers begründet.
Gregor Thüsing und Tom Stiebert vertiefen Fragen der Auslegung von § 15 AGG. Sie untersuchen die Bemessung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 II AGG und sprechen sich dafür aus, die in S. 2 der Vorschrift für den Fall der Nichteinstellung vorgesehene Begrenzung auf drei Monatsgehälter entsprechend auf den Fall der Nichtbeförderung anzuwenden, da die Persönlichkeitsverletzung gleich zu bewerten sei. Im Fall wiederholter Diskriminierung schlagen sie vor, den Entschädigungsbetrag nach allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts nicht durch Addition von Einzelsummen für jeden Vorgang, sondern durch eine Gesamtwürdigung zu ermitteln. Den Beginn der Zweimonatsfrist möchten sie nicht an den bloßen Zugang der Ablehnungsentscheidung knüpfen, sondern an die Kenntnis der Schlechterstellung; eine darüber hinausgehende Kenntnis von Merkmalsträgerschaft und Diskriminierungsmotiv sei hingegen nicht erforderlich. Letzteres sei auch von den europarechtlichen Umsetzungsgeboten (Äquivalenz, Effizienz) nicht geboten.
Die kursorische und, wie gesagt, willkürliche Durchsicht schöpft den Reichtum des Bandes nicht aus. Die Herausgeber und Autoren haben dem Jubilar ein schönes und großes Geschenk gemacht. Eine Lektüre, die man durchaus empfehlen kann.
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Die Rezension wurde der NZA – Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2016, Heft 05, entnommen.
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